Fehlverhalten eines Notfallsanitäters – Kasuistik

In den letzten Jahren haben die Berufsbilder der nicht-ärztlichen Assistenzpersonen im Rettungsdienst eine gewisse Wandlung erfahren. So wurde in Deutschland im Jahre 2014 der Beruf des Notfallsanitäters (NotSan) eingeführt, der den bisherigen Rettungsassistenten als höchste berufliche, nicht-ärztliche Qualifikation im Rettungsdienst abgelöst hat. Der Notfallsanitäter gehört juristisch zu den Gesundheitsfachberufen.

Um der medizinischen Entwicklung im Rettungsdienst auch in der Ausbildung Rechnung zu tragen, unterscheidet sich die Ausbildung zum Notfallsanitäter im Vergleich zum bisherigen Rettungsassistenten dahingehend, dass sie von der bisherigen Ausbildung zum Beruf des Rettungsassistenten von zwei auf drei Jahre verlängert wurde. Das Notfallsanitäter-gesetz (NotSanG) und die aufgrund dieses Gesetzes erlassene Ausbildungs- und Prüfungs-verordnung sind am 1. Januar 2014 in Kraft getreten und gelten bundesweit.

Das bisherige Rettungsassistentengesetz trat am 31. Dezember 2014 außer Kraft, um eine einjährige Übergangsphase bei der Ausbildung zu ermöglichen.

Aufgrund seiner weitreichenden Ausbildung darf ein Notfallsanitäter auch eigen-verantwortlich (d. h. ohne Delegation) Massnahmen vornehmen, die normalerweise approbierten Ärzten vorbehalten sein.

Liegt weder eine Delegation durch einen am Einsatzort befindlichen (Not-)Arzt noch eine Verfahrensanweisung des Rettungsdienststrägers vor, welche die Maßnahme erlaubt, sieht der Gesetzgeber mit § 4 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c NotSanG in gewissem Umfang auch ein eigenverantwortliches Tätigwerden des Notfallsanitäters vor:

„Durchführen medizinischer Maßnahmen der Erstversorgung bei Patientinnen und Patienten im Notfalleinsatz und dabei Anwenden von in der Ausbildung erlernten und beherrschten, auch invasiven Maßnahmen, um einer Verschlechterung der Situation der Patientinnen und Patienten bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes oder dem Beginn einer weiteren ärztlichen Versorgung vorzubeugen, wenn ein lebensgefährlicher Zustand vorliegt oder wesentliche Folgeschäden zu erwarten sind.“

Obgleich dies hinreichend deutlich belegte, dass der Notfallsanitäter auch außerhalb einer Delegation oder Verfahrensanweisung zur Durchführung invasiver Maßnahmen befugt sein sollte, wurde die Rechtslage durch viele Berufsträger und Berufsverbände als unzu-reichend angesehen, da § 4 NotSanG selbst aufgrund seines Charakters als Berufszulassungs-gesetz keine unmittelbare Rechtsfolge enthielt, die den Verstoß gegen § 1 HeilprG beseitigen konnte, weshalb nach Auffassung zahlreicher Juristen lediglich der Weg über eine Anwendung des § 34 Strafgesetzbuch (StGB) blieb, zu dessen Auslegung § 4 Abs. 1 Nr. 1 lit. c NotSanG dann „mittelbar“ herangezogen werden sollte.

Festzuhalten ist aber, dass die besagte „Notfallkompetenz“ des Notfallsanitäters unmittelbar und vollumfänglich endet, wenn ein approbierter Arzt oder der reguläre Notarzt am Notfallort erscheint (folgt unmittelbar aus dem neu eingeführten  § 2a NotSanG vom März 2021). Dieser Paragraph erlaubt den Notfallsanitätern ausdrücklich die Ausübung ärztlicher Tätigkeiten, einschließlich heilkundlicher Tätigkeiten und invasiver Massnahmen bis zum Eintreffen des Notarztes oder eines anderen approrbierten Arztes oder bis zum Beginn einer weiteren ärztlichen, auch teleärztlichen Versorgung, wenn:

Der Notfallsanitäter die Maßnahmen in seiner Ausbildung erlernt hat auch nachweislich beherrscht; und

die Maßnahmen jeweils erforderlich sind, um Lebensgefahr oder wesentliche Folge-schäden von der Patientin oder dem Patienten abzuwenden.

Damit hat der Notfallsanitäter eine rechtliche Grundlage für sein Handeln und muss nicht wie der frühere Rettungsassistent sein Handeln durch das Vorliegen eines rechtfertigenden Notstandes nach § 34 StGB begründen. Mit der zunehmenden Einführung der telemedizinischen Notarztversorgung wird nach Einschätzung von Juristen die Bedeutung des § 2a NotSanG sinken, da auch bei zeitkritischen Maßnahmen eine Live-Delegation durch einen Telenotarzt möglich sein wird bzw. zufällig am Notfallort anwesende Ärzte die Versorgung übernehmen.

Wie wir in der Ausbildung immer wieder aus guten Grund betonen, endet die Ausübung seiner heilkundlichen Tätigkeit des Notfallsanitäters unmittelbar bei Eintreffen des Notarztes oder eines anderen approbierten Arztes.

 

Kasuistik

Am Nachmittag des 30. Dezembers 2024 ereignete sich an der Talstation der Bergbahn Graseck (Garmisch-Partenkirchen) gegen 14.00 h offensichtlich ein ernsthafter internistischer Notfall. Die Notfallversorung wurde durch das Bayerische Rote Kreuz (BRK), Sektion Garmisch-Partenkirchen, in Form eines RTWs durchgeführt. Dieser war mit einem Notfallsanitäter und einem RTW-Fahrer besetzt. Die Zufahrtsstrasse (eine kleine Privatstrasse, mehrere Kilometer lang) war aufgrund einer festgefahrenen Schneedecke schwierig zu befahren; zudem befanden sich zahlreiche Spaziergänger und Pferdekutschen auf der Fahrbahn, was ein Fortkommen, auch mit Sondersignal, wesentlich erschwerte.

Der Patienten oder Patientin war bereits in den Wagen gebracht worden, um vom Notfallsanitäter versorgt zu werden. Der reguläre Notarzt war nicht vor Ort, war wohl nachalamiert worden – das NEF stand später am Ende der Privatstrasse (Höhe Sprungschanzen) und sollte wohl die Übergabe organisieren (gestopplte Fahrzeit vom Notfallort: ca. 10 Minuten). Warum das mit einem Notarzt besetzte NEF nicht zum Notfallort gefahren ist, konnte später nicht eruiert werden – dürfte wohl den schwierigen Verkehrsverhältnissen auf der Strasse geschuldet sein).

Zur gleichen Zeit erschien ein voll ausgebildeter Notarzt (Facharzt für Innere Medizin, Qualifikation als Ltd. Notarzt, Ausbildungsarzt für Notfallsanitäter, Intensivmedizin, Hubschraubernotarzt etc.) in Begleitung seiner Ehefrau (Intensivkrankenschwester) und eines befreundeten Medizinrechtlers am Notfallort (die Gruppe war in zivil gekleidet und urlaubsbedingt auf dem Weg in die Innenstadt Garmisch-Partenkirchen).

Der Notarzt (mehr als 35 Jahre Berufserfahrung in der Rettungsmedizin) gab sich sofort als Notarzt dem vor dem Fahrzeug wartenden RTW-Fahrer zu erkennen und bot fachärztliche Hilfe an. Dies nahm der RTW-Fahrer dankbar an, und bat den Arzt, in den Behandlungsraum des RTW zu gehen.

Nach dem Öffnen der Seitentüre gab sich der Arzt als Notarzt zu erkennen und bat zum Zugriff zu dem Patienten. Dies wurde von dem Notfallsanitäter abgelehnt mit der wörtlichen Begründung vor Zeugen:

„Das ist nett von Ihren, Liebchen, aber hier im Wagen habe ich das Kommando, und ich entscheide, was gemacht wird. Können Sie sich als Arzt ausweisen?“

Während der Arzt in seiner Winterjacke nach seinem Arztausweis der Bayerischen Ärztekammer suchte, frage er den angeblichen Notfallsanitäter nach seinem Ausweis und bat um seinen Namen – beides blieb der Notfallsanitäter schuldig, seinen Namen wollte initial auch nicht preisgeben – allerdings fand sich auf der Einsatzjacke das Namenschild „V.“ (voller Name bekannt und zwischenzeitlich beim BRK verifiziert).

Dann zog er ohne weitere Begründung in einer an Arroganz nicht mehr zu überbietenden Art die Tür des RTW zu und verweigerte dem Notarzt den Zugriff auf den schwerkranken Patienten. Der RTH fuhr dann lediglich mit dem Notfallsanitäter zum Treffpunkt mit dem nachalamierten regulären Notarzt (Fahrzeit ca. 10 min – keine Arztbegleitung).

Die weitere epikritische Aufarbeitung des Falles durch den initialen Arzt bei der Zielklinik und beim Leiter des Rettungsdienstes des BRK Garmisch-Partenkirchen (Herr S.), legte den Verdacht nahe, dass die präklinische Versorgung wohl suboptimal war. Der Arzt telefonierte ferner mit Herr S. und fragte, was wohl gewesen wäre, wenn der Patient während des Transports gestorben wäre – die lapidare Antwort war: „Das passiert bei uns nicht.“

Dem hier in Rede stehenden Notfallsanitäter, Herrn V., wurde über Herrn S. ein kurzes Telefonat angeboten, um sein Fehlverhalten zu diskutieren – diesem Angebot ist Herr V. bis heute nicht nachgekommen, so dass aufgrund der dringenden Empfehlung des Medizinrechtlers Strafanzeige gegen Herr V. mit der Bitte um einstweilige sofortige Suspendierung zur Vermeidung von möglichen Schäden bei anderen Patienten („Gefahr im Verzug“) bei der Staatsanwaltschaft München I gestellt wurde.

Das weitere Verfahren bleibt abzuwarten – wir werden im Kurs darüber berichten. Eine Publikation der hier geschilderten Kasuistik erfolgt in der Fachzeitschrift „Der Notarzt“.

 

Kurze medizinrechtliche Wertung:

Im Falle eines schwerwiegenden Notfalls reicht es völlig aus, wenn sich ein zufällig am Notfallort befindlicher qualifizierter und approbierter Arzt als solcher zu erkennen gibt und die weitere Patientenversorgung vollumfänglich übernimmt. Dies ist auch so aufgrund eines ähnliches Falls, bei der sich eine Anästhesistin als Notärztin vorgestellt hatte und dann nicht zum Patienten gelassen wurde, von der Bundesärztekammer bestätigt wurde. Warum das BRK Garmisch-Partenkirchen in Person von Herr V. hier eigene „Regeln“ aufstellt, ist nicht bekannt.

Die sog. Notfallkompetenz eines Notfallsanitäters endet unmittelbar und vollständig, wenn ein approbierter und qualifizierter Arzt am Notfallort eintrifft oder zufällig vor Ort ist (§ 2a NotSanG). Dies gilt ohne die geringste Ausnahme.

Ein Notfallsanitäter hat zu keinem Zeitpunkt auch nur das geringste Recht, einen approbierten Arzt, wie in diesem Fall, von seiner Berufsausübung abzuhalten. Dies ist strafbewehrt – auch in Bayern (folgt aus der Berufsordnung für Ärzte und NotSanG – hätte das BRK Bayern wissen müssen).

Die Verweigerung von fachärztlicher Hilfe durch den mutmasslichen (nicht ausgewiesen) Notfallsanitäter für den offensichtlich schwerkranken Patienten ist nach § 323c StGB massiv strafbewehrt, denn nach den einschlägigen StGB-Kommentaren greift § 323c nicht nur bei der Unterlassung von Hilfeleistung, sondern auch, wie im Falle des Herr V., bei der Verhinderung von Hilfeleistungen durch sachkundige Personen (siehe Münchner Kommentar zum StGB, § 323c, 4. Auflage 2022).

Aus alledem folgt, dass aufgrund des Verhaltens des Herr V. und seiner Vorgesetzen, Herr S., Strafanzeige zu stellen war.

 

 

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„Ein unglaubliches Verhalten von Herrn V. und des BRK. Wahrscheinlich hat er noch beim akuten Koronarsyndrom Mo oder Fenta gespritzt und ist dann ohne Arzt losgefahren. Ego steht über dem Patientenwohl – hat im Rettungsdienst nichts zu suchen!!“

(Markus G., Notfallsanitäter)

 

Antwort:

Er hat wohl Fentanyl gespritzt und ist in der Tat ohne Arzt (der ja vor der Türe stand) losgefahren.

 

„Beim BRK ändert sich nichts – grosse Besen und grosse Teppiche…“

(Sabrina C., Rettungsassistentin)

 

Antwort:

Der Geschäftsführer (BRK in GAP), ein Ass. Jur (kein Volljurist), hat schriftlich vollständige Aufklärung und ggf. Konsequenzen versprochen.

 

„Als erfahrener Notfallsanitäter sehe ich, ob ein mir unbekannter Arzt etwas kann oder nicht -dann kann ich immer noch eingreifen: Teamfähigkeit ist der Schlüssel hier, nicht das eigene Ego…“

(Sebastian M,. Notfallsanitäter)

„Danke für die super Kasuistik! Leider auch schon so erlebt – konsequent Strafanzeige stellen ist der einzige Weg, den diese vom eigenen Ego getriebenen Retter verstehen!“

(Dr. Wiegand B., Notarzt)

 

„Völlig abwegig, dass sich in einer solchen Situation ein Hochstapler als Arzt ausgibt – er würde doch sofort auffliegen! Wenn mich demnächst ein Mitbürger nach dem Weg zum nächsten Juwelier fragt, werde ich dies ablehnen und nach dem Ausweis verlangen – die Person könnte ja den Laden überfallen wollen, und ich hätte Beihilfe geleistet…😊

Herr V. – in welcher Welt leben Sie eigentlich?

(Werner K., Notarzt)

 

„Ich denke, Herr V. sollte jetzt wieder KTW fahren. Ist die Stelle schon frei für Bewerbungen?“

(Bernd K., Sanitäter)

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